Spielautomaten überall – wie geht man als Spielsüchtiger damit um?
Im heutigen Blog-Beitrag einmal ein Brief-, bzw. Email-Wechsel, zwischen einer Angehörigen eines Spielsüchtigen und einem unserer Therapeuten. Die Dame hatte die persönliche Betreuung gewählt, d.h. darf dann regelmäßig Fragen und Probleme schicken und bekommt dann von einem der Therapeuten ausführliche und hoffentlich hilfreiche Antworten.
Sehr geehrtes Lavario Team,
ich habe das Program für meinen Mann runter geladen.
Ich bin jetzt schon sehr froh darauf gestoßen zu sein.
Ich habe dennoch eine Frage!?
Das das Gehirn sich langsam daran gewöhnen muss nicht mehr der Sucht zu verfallen, habe ich verstanden.
Dennoch stellt sich mir die Frage wie man spielen gehen soll. wenn leider das Einkommen eigentlich garnicht reicht und das Geld halt für andere Dinge gebraucht wird.
Ich hoffe man versteht wo ich drauf hinaus will.
Des weiteren ist uns gestern aufgefallen, das in sämtlichen Imbissbuden auch Spielautomaten stehen.
Mein Mann fühlte sich gezwungen, weil der Laden sehr voll war und nur dort ein Platz frei war sich dort hin zu setzten.
Leider war mir dabei garnicht wohl, weil ich das Gefühl hatte es löst das alles wieder aus.
Gibt es auch evtl. Tipps in solchen Situationen ?
Vielen Dank für das bisherige Programm, das war uns bisher eine große Hilfe.
MfG
Hallo Frau XXX,
danke für Ihre Nachricht. Und danke für das indirekte Kompliment – also, dass Sie froh sind, auf das Programm gestoßen zu sein. Dann scheint es ja von Nutzen zu sein.
Sie stellen in Ihrer Email ja zwei Fragen.
Zur ersten, bezüglich der Imbissbuden. Später im Programm geht es darum, die typischen Auslöser für Suchtdruck zu erkennen. Zu den Auslösern gehören z. B. Stress, Ärger, Einsamkeit, unstrukturierte Zeit, Glücksgefühle und weitere, die dann auch erklärt und beschrieben werden. Diese Auslöser sind für jeden gleich und sind nicht mit den Gründen für die Spielsucht zu verwechseln. Aber das wird im Programm ja auch noch alles erklärt. In Kurzform: Es gibt bestimmte Gründe, warum sich eine Spielsucht überhaupt erst entwickelt und dann gibt es unabhängig davon tagtägliche Auslöser, dass man jetzt wieder unbedingt spielen “muss”.
So. Und neben den eben genannten typischen Auslösern sind auch bestimmte Orte, nämlich typischerweise Orte, an denen es Spielautomaten gibt, typische Auslöser. Das ist von allen Auslösern wohl der offensichtlichste.
Es geht dann im Programm – ich glaube, es ist in Woche 6 – darum, wie man erstens dafür sorgt, dass diese Auslöser nicht mehr so häufig vorkommen und zweitens, wie man anders mit ihnen umgeht – denn man wird bei egal welchen Auslösern es nicht schaffen, sie komplett aus seinem Leben zu verbannen. Ihr Mann wird ja immer wieder mal in einen Imbiss gehen oder an einer Spielhalle vorbeikommen oder im Internet Werbung für einen Anbieter von Sportwetten sehen usw.
Jetzt ist also erstens wichtig, dass Sie versuchen, die Häufigkeit zu reduzieren. Ich persönlich kenne jetzt mindestens zwei Imbisse hier (in Köln), in denen es definitiv keine Spielautomaten gibt. Aber nehmen wir mal an, dass es so ist, wie Sie sagen und dass es bei Ihnen in der Gegend ausschließlich Imbisse mit Automaten gibt, dann sollten Sie sich überlegen, ob Sie denn wirklich dahin müssen – und es nicht auch ein anderes Fast-Food-Restaurant sein kann. Mc Donalds, Kebab, Gyros, Nordsee, Tankstelle, Würstchenbude, …
Das zweite, worum es ja dann später im Programm geht, ist, anders mit diesen Auslösern umzugehen, wenn sie vorkommen. Dazu gibt es dann vier Möglichkeiten, was man tun kann. EINE dieser Möglichkeiten sind die Sofort-Tipps, von denen Sie ja schon die ersten zehn kennengelernt haben – und weitere folgen. Ich würde aber nicht darauf vertrauen, dass Ihrem Mann dann in solch einer kritischen Situation sofort einer der Sofort-Tipps einfällt und er sich dann in Ruhe daransetzt, den jetzt anzuwenden. So etwas sollte besser geplant sein. Man sagt in der Psychologie auch, es sollte antizipiert werden.
D.h. er oder sie beide sollten sich schon jetzt in solch eine Situation hineinversetzen, sich genau überlegen, wie er dann wieder fühlen wird und wie er dann trotzdem den Tipp anwenden kann. Er sollte sich schon vorher klar werden, wie es in ihm kämpfen wird und sich vorstellen (und planen), wie er es dann dennoch schafft. Z. B. mit der Gedankenstopptechnik oder mit dem Tabasco-Fläschchen, was ihm die Tränen in die Augen treibt und seine Gedanken völlig durcheinander bringen oder am besten einen Kombination aus verschiedenen Tipps.
Eine weitere Möglichkeit, mit dem Druck umzugehen, ist komplett umzuschalten auf sich selbst beobachten. Wissen Sie, jeder Suchtdruck vergeht nach einer Zeit wieder. Er setzt ein, wird stärker, noch stärker…. und dann gibt man im Normalfall nach. Tut man das nicht, wird er noch stärker / unerträglich stark und flaut dann langsam wieder ab. Was man als Süchtiger meist falsch macht, ist, dass man sich unter Druck setzt, komplett emotional reagiert und sich im Kopf nur alles darum dreht “Du bist ein Loser, wenn du jetzt nachgibst.” “Das kannst du nicht machen.” “Warum nicht? Du bist doch eh nichts wert.” “Nur das eine Mal noch.” “Du hast nichts besseres verdient.” …. Was man so gut wie nie macht, aber tun SOLLTE, ist sich einfach mal zurücklehnen und sich sagen: “OK, du darfst das jetzt (!). Niemand kann dir verbieten, das jetzt zu tun.” (Die Zwanghaftigkeit aus der Situation herauskriegen! Das ist ganz wichtig!) Sich dann aber gleichzeitig zu fragen: Willst du das denn wirklich? Du bist doch jetzt in einem Selbsthilfeprogramm, deine Frau unterstützt dich, hast du nicht auch einmal etwas besseres verdient? —- Das ist ein ganz feiner Grat, den man da geht. Man muss einerseits lernen, großzügig zu sich selbst zu sein (Du darfst das jetzt, wenn du wirklich willst), und dann trotzdem die BEWUSSTE Entscheidung treffen, dass man es DIESMAL nicht will. So, und sich dann selber beobachten, wie ich eben schon geschrieben habe. Ideal wäre es, wenn er wirklich ein Blatt Papier nehmen könnte, oder eine Serviette, wenn er im Imbiss ist, und sich aufschreibt, was er gerade in sich fühlt, wie es ich anfühlt. Sachen aufschreiben wie “Ich brauch das jetzt so sehr.” “Ich halts nicht mehr aus.” “Mein Herz rast.” “Meine Finger sind schon ganz feucht.” “Warum schreibe ich den Scheiß hier eigentlich auf.” (Wirklich keine Tabus, alles aufschreiben, was man gerade fühlt und denkt, auch wenn einem das am Anfang ziemlich albern vorkommt.)
Warum? Weil man damit Dinge, die im Unterbewusstsein ablaufen, an die Oberfläche holt und ihnen die Kontrolle über einen selber wegnimmt. Es ist etwas ganz anderes, ob man FÜHLT, ich muss jetzt zu diesem verdammten Automaten, oder ob AUFSCHREIBT “Ich muss jetzt zu diesem verdammten Automaten”. Beim Aufschreiben verschafft man sich erstens etwas Erleichterung, denn es ist sozusagen wirklich erst einmal raus, man lenkt sich außerdem ab (wie bei den Sofort-Tipps) und man gibt sich selber die Chance, über das nachzudenken, was man gerade aufgeschrieben hat. Und alleine das NACHDENKEN über das, was man gerade fühlt, aktiviert einen ganz anderen Bereich im Gehirn. Denken und fühlen (und Suchtdruck ist immer Fühlen!) laufen nebeneinander ab. Wenn Sie sich zwingen, zu denken, wird fühlen in dem Moment schwieriger. D.h. je mehr Sie bzw. er aufschreibt, umso schwächer wird auch der Suchtdruck. Man kommt dann irgendwann – nach vielen Malen – dazu, dass man dann wirklich gut damit umgehen kann. Man kennt sich dann selber und weiß, wie sich das anfühlt, wie schlimm der Suchtdruck wird und wie er dann doch immer wieder schwächer wird und verschwindet.
Für diesen Tipp ist es aber fast noch ein bisschen zu früh, genau wie für die anderen, die ich dann hier auch noch gar nicht schreibe, denn er steht ja erst am Anfang des Heilungsprozesses, und da ist er noch nicht so weit und noch nicht so stark wie in ein paar Wochen. Deshalb wäre wirklich das beste, wenn er AKTUELL solch starke Auslöser wie einen Imbiss mit einem Spielautomaten vermeidet. In Zukunft wird er anders damit umgehen können.
Ich hoffe, das ist erst einmal hilfreich!
Ihre zweite Frage ist etwas einfacher zu beantworten. Natürlich ist kein Geld fürs Spielen da. Natürlich sollte das Geld für etwas anderes ausgegeben werden. Aber andererseits IST er ja spielsüchtig. Wenn es so einfach wäre, von heute auf morgen mit dem Zocken aufzuhören (und das wäre es kurzfristig, wenn er in eine stationäre Behandlung in eine Klinik ginge), das wäre schön. Aber das ist es ja nicht. Nicht falsch verstehen: Sie sollen ihn ja nicht dazu drängen, weiterzuzocken, selbst wenn er z. B. Tage lang keinen Spieldruck hat. Es geht vielmehr darum, dass er, wenn er Druck hat, die Dosis ein wenig herunterfährt und dann zumindest ein kleines Bisschen stolz auf sich sein kann, dass es diesmal nicht ganz so übel gekommen ist. Und dabei sollten Sie eher einen Wochenzeitraum sehen. Also nicht in einer bestimmten Situation sagen: So, statt 50 Euro verliere ich jetzt nur 40, denn das kann man ja kaum beeinflussen und wäre theoretisch. Sondern sich als Ziel setzten: Statt fünf Mal (als Beispiel) diese Woche nur vier Mal. Z. B. weil in einem von fünf Fällen einer der Sofort-Tipps geholfen hat.
Sie sollten das über einen Zeitraum von Monaten sehen, und zwar wie folgt: Täte er nichts, würde er jeden Monat weiterhin wie vorher xxx Euro verzocken. Jetzt aber wird es im nächsten Monat nur noch yyyy Euro, dann zzz und dann ist er hoffentlich davon befreit. Machen Sie also nach Möglichkeit keine Vorwürfe, wenn er immer noch zockt. Versuchen Sie auch, kein böses oder enttäuschtes Gesicht zu machen, sondern feiern Sie kleine Fortschritte, ermutigen Sie immer, holen Sie ihn aus Löchern heraus. Was Sie unbedingt (!) vermeiden sollten, ist, dass er sich schlecht fühlt, wenn er immer wieder noch ab und zu zockt. Kaum etwas befördert eine Sucht so sehr wie wenn man sich schämt und sich schuldig fühlt. Wenn einen die Frau vorwurfsvoll oder enttäuscht ansieht – da stauen sich dann wieder Minderwertigkeitskomplexe, Aggressionen, Selbstvorwürfe etc. auf, die man dann früher oder später mit neuem Zocken ausgleichen will (weil man sich dann kurzfristig wieder besser fühlt).
Sich also die notwendige Zeit lassen, um das Programm in Ruhe durchzuarbeiten. Und Arbeit ist es. Ich hoffe, dass ER auch wirklich genauso viel Zeit in das Programm investiert wie Sie es wahrscheinlich tun. Für Sie ist es natürlich auch hilfreich, weil Sie viel mehr über die Sucht verstehen und über das, was in ihm vorgeht. Aber letztendlich muss ER natürlich den Weg gehen.
Ich hoffe, das war erst einmal hilfreich. Ich bin übrigens der Michael. Wenn Sie an das Lavario-Team schreiben, brauchen Sie das aber nicht dazuschreiben. Jeder Kunde wird immer von EINEM Therapeuten betreut, der Sie dann im Laufe der Zeit auch besser kennt, d.h. Ihre Mails werden immer automatisch an mich weitergeleitet und ich antworte meist innerhalb von drei (Werk-)Tagen.
Viel Erfolg erst einmal !