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Das Unterbewusstsein nutzen, um von einer Sucht wegzukommen

In den letzten drei Blogbeiträgen habe ich ja einiges dazu geschrieben, welche Rolle das Unterbewusstsein darin spielt, dass wir einfach nicht von der Sucht loskommen. Heute will ich einmal ein paar Beispiele dafür geben, wie wir genau das Gegenteil erreichen können.

Nämlich Suchtfreiheit, indem wir den Eisberg in uns nutzen.

Hier ein Beispiel, das anschaulich die „Logik“ von drei- bis achtjährigen Kindern zeigt. Entscheiden Sie selbst, ob Ähnliches nicht auch für Sie als Kind zutrifft. Bei Trennungen der Eltern ergeben sich bei der überwiegenden Anzahl der kleinen Kinder seelische Probleme, die oft erst viel später zutage treten.

Man hat festgestellt, dass die Psyche des Kindes so arbeitet, dass alles auf sich selbst bezogen wird. Wenn also einer der beiden Eltern weggeht, dann muss es deshalb sein, weil „ich“ nicht gut genug bin, nichts wert bin. Genauso, wenn die Eltern sich streiten oder schlagen: das muss sein, weil „ich“ sie verärgere, weil „ich“ mich falsch benommen habe, weil sie „mich“ nicht mehr lieben.

Das ist für uns als Erwachsene nicht rational, für eine kleine Kinderseele aber schon. Und so werden gerade in turbulenten Elternhäusern schon tiefe Spuren in der Psyche des Kindes hinterlassen. Selbstverständlich wird ein Kind auch das Schlagen und Verprügeltwerden immer auf sich selbst beziehen und niemals denken, dass die Mama oder der Papa vielleicht selber psychische Probleme haben.

Wenn „ich“ geschlagen oder verprügelt werden, dann habe ich das auch verdient, dann bin ich nicht gut genug, dann lieben meine Eltern mich nicht. Und wenn mich meine Eltern, mein Ein und Alles, schon nicht lieben, wer soll mich denn dann sonst lieben. Dann bin ich doch wirklich nichts wert.

Und jedes Mal, wenn wieder etwas Schlechtes passiert, dann geschieht mir das ja auch ganz recht. Die Software in unserem Gehirn arbeitet dann sehr effizient. Und noch etwas Entscheidendes passiert dann: wenn wir es unseren Eltern nicht recht machen, dann fühlen wir uns auch noch schuldig. Und schämen uns.

“Der Hass ist die Liebe, die gescheitert ist.”

Sören Kierkegaard, dänischer Philosoph (1813 – 1855)

Erst ab einem Alter von etwa 10 Jahren gewinnen wir die Fähigkeit, dies alles differenzierter zu betrachten. Aber dann ist vieles von den 95% Unbewussten auch schon festgeschrieben. Und außerdem beginnen wir dann typischerweise etwas ziemlich Selbstzerstörerisches zu tun, nämlich uns an unseren Eltern (oder anderen nahen Bezugspersonen) zu rächen.

Im Gehirn laufen dann zwei Dinge parallel zueinander ab. Zum einen ist da die Software im Unbewussten (in den 95%), die uns ständig sagt, dass wir nichts wert sind. Zum anderen ist da im Bewusstsein (in den 5%) das Erkennen, dass unsere Eltern schuld sind, dass sie uns gedemütigt haben, uns verprügelt haben, uns missbraucht haben.

Das Bewusstsein sagt uns dann, dass wir ja zu jung sind, um wegzugehen, wir uns aber wehren können, indem wir unsere Eltern boykottieren. Das heisst, wir tun genau das nicht, was sie von uns erwarten. Wir benehmen uns daneben, beginnen uns zu betrinken, schwänzen die Schule, ziehen uns in unser Zimmer zurück und masturbieren, oder fangen an zu hungern oder uns vollzustopfen, oder was auch immer.

Das Dramatische ist, dass wir uns selber verletzen, nur um uns zu rächen an unseren Eltern. Unser unbewusstes, fehlendes Selbstbewusstsein aus der früheren Kindheit unterstützt uns dann noch dabei, weil es sagt „egal, ich bin ja sowieso nichts wert“.

Und wenn dann das selbstverletzende Verhalten lang genug anhält, dann wird es auch unbewusst, so wie im Beispiel vorher das Schalten vom dritten in den vierten Gang beim Autofahren. Deshalb ist es den meisten Süchtigen zunächst gar nicht bewusst, dass sie mit ihrem Suchtverhalten auch Rache nehmen wollen an wichtigen Personen ihrer Kindheit.

An dieser Stelle also schon einmal eine wichtige Einsicht: Ihr Suchtverhalten kommt auch daher, dass Sie sich selbst nicht mögen UND großen Groll gegenüber jemanden aus Ihrer Kindheit hegen. Solange Sie beides nicht auflösen, werden Sie Schwierigkeiten haben, in Ihrer Heilung fortzuschreiten. Sie sind abhängig von der Person, an der Sie sich rächen wollen!

Eine Sucht kann latent da sein und erst im Erwachsenenalter richtig ausbrechen. So berichtete uns ein 33jähriger sexsüchtiger Mann, dass er erst zwei, drei Jahre vorher wirklich angefangen hat, zwanghaft in Bordelle und an den Strassenstrich zu gehen, obwohl er in einer Beziehung lebt, die nach außen hin glücklich erscheinen.

Während der Therapie kam dann zum Vorschein, dass er als Kind sehr viel Ablehnung vom weiblichen Geschlecht erfahren hatte, man ihn gehänselt hatte, ihn einmal an den Zaun gebunden hatte und alle Mädchen ihn verspottet hatten. Seitdem hatte das innere Kind immer Angst vor Frauen.

Obwohl er rational seine Freundinnen hatte, konnte er sich ihnen innerlich nicht wirklich öffnen. Andererseits war da natürlich der Wunsch nach erfüllender Liebe mit Vertrauen und Offenheit, aber das Kind in ihm hatte in den unbewussten 95% immer dafür gesorgt, dass es dazu nicht kam und dass sich die „Nähe“ dann erkauft wurde.

Ein anderer 47jähriger italienischer Patient berichtete, dass er von seinen Eltern als Kind und Jugendlicher in eine bestimmte Berufslaufbahn gedrängt wurde (Diplomat, da sein Vater und Großvater auch Diplomaten waren).

Im Unterbewusstsein „wusste“ er, dass er seine Seele vergewaltigte, weil er eigentlich nicht dafür gemacht war, ständig nett zu sein, auf Empfängen zu lächeln, ständig mit fremden Menschen zusammen zu sein, ständig wieder an neuen Orten zu wohnen und immer mehr den Kontakt zu den Menschen (zuhause in Italien) zu verlieren, die ihm wichtig waren.

Er war seinen Eltern hörig und sein inneres Kind wandte sich gegen ihn und boykottierte ihn mit selbstzerstörerischem Verhalten, das in der Sucht gipfelte. Heilung konnte bei ihm erst eintreten, als er sich seinem inneren Kind öffnete und Frieden mit ihm schloss. Er hat sich nun nach Rom versetzen lassen, wo er in der Verwaltung arbeitete. Neben der Therapie war dies ein wichtiger Schritt in seiner Lebensführung, um aus der Sucht auszubrechen.

Wichtig ist, dass, je mehr Sie sich sich selbst bewusst sind in den Situationen des Suchtdrucks, je mehr Sie von den 95% ans Tageslicht gezerrt haben, desto eher können Sie anders reagieren als Sie das in der Vergangenheit getan haben.

Anders ausgedrückt: insgesamt werden Sie dann weniger Alkohol, Porno, Spielhöllen, Essen etc. als Suchtmittel benötigen und wenn dann der Suchtdruck trotzdem da ist, dann haben Sie bessere Chancen, ihm nicht nachzugeben und stattdessen in der Situation zu analysieren, warum gerade jetzt der Suchtdruck da ist und was er Ihnen sagen will.

Und jetzt noch eine für Sie wahrscheinlich provokante, vielleicht aber auch beruhigende Aufforderung: Wenn Sie das nächste Mal Ihre Sucht ausleben, dann versuchen Sie sich doch auch einmal mit ein wenig Verständnis zu beobachten. Fühlen Sie, was in Ihnen vorgeht.

Kämpfen Sie nicht dagegen an, sondern beobachten Sie Ihr inneres Kind. Das innere Kind wird Ihnen dafür danken. Es wird sich endlich mal ernst genommen fühlen und wird danach vielleicht nicht so schnell wie sonst wieder an die Oberfläche. Das ist ein Stück Liebe zu sich selbst, ein Stück Mitgefühl und Verständnis. Genau das müssen Sie lernen.